Some of them were dreamers
Some of them were fools
Who were making plans and thinking of the futureJackson Browne
Der zweite große Entwicklungsstrang, der in das Web
mündete, begann noch ein paar Jahre früher als die ersten
Generic-Markup-Ideen. Die Rede ist vom
Hypertext. Älteste Beispiele von Texten,
die Querverweise nutzen, datieren einige Jahrhunderte
zurück. DeRose und Durand zeigen zum Beispiel einen Druck von
Euklids Elementen
aus dem 17. Jahrhundert
[dedu94]
[dedu94]Making Hypermedia Work - A User's Guide to Hytime
- A User's Guide to Hytime, Stephen DeRose, David G. Durand, 1994, Kluwer Academic Press, in dem Verknüpfungen von Textstellen durch
Verweise realisiert sind. Die Protagonisten unseres
Jahrhunderts sahen im Hypertext stets mehr als nur eine Form
von Verweisen.
Als Vorläufer oder zumindest als Inspiration der
modernen Hypertextsysteme gilt Vannevar Bushs fiktives System
Memex. Seinen vielzitierten Artikel As
we may think
veröffentlichte er bereits im Jahre
1945. Darin skizziert er ein System, das man sich äußerlich
als Schreibtisch (vielleicht mit eingebautem
Desktop-Computer) vorstellen kann. Selbstverständlich
ist noch nicht die Rede von Mikroprozessoren und
Festplatten. Seine technologische Grundlage ist die
(Mikro-)Fotografie. Wesentlich ist aber, dass Memex mit
einzelnen Informationseinheiten (vorstellbar als einzelne
Seiten eines Hypertextes) arbeitet, die der Benutzer durch Wege
(trails
) miteinander verbinden kann (heute: Hyperlinks). Bush
zeichnet ein sehr feines Bild der Anwendungen, die ihm
vorschweben. Die visionäre Kraft dieses vorausschauenden
Artikels macht den Text auch nach mehr als 50 Jahren
lesenswertIm Oktober 1995 fand anläßlich des
fünfzigsten Jubiläums von Bushs Artikel eine Feier am Massachusetts
Institute of Technology statt. Dabei ging es auch darum,
herauszufinden,
What Has Been Accomplished, and What Remains
to Be Done
. Zu den Rednern gehörten
Douglas Engelbart, Theodor Nelson und Tim
Berners-Lee; außerdem auch Douglas Adams,
Autor zahlreicher Science-Fiction-Romane. Informationen zu
dieser Veranstaltung sind im Web unter
http://www-eecs.mit.edu/AY95-96/events/bush/ zu finden..
Douglas Engelbart bezieht sich in der ersten Veröffentlichung zu seinem
Augment-Projekt ebenfalls auf
Bush. Engelbart beschreibt hier im Jahre 1962 (in Augmenting
Human Intellect
[enge62]
[enge62]Augmenting Human Intellect - A Conceptual Framework
- A Conceptual Framework, Douglas C. Engelbart, 1962, http://www.histech.rwth-aachen.de/www/quellen/engelbart/ahi62index.html) eine auf Lochkarten basierende
Hypertext-Anwendung, die das Ziel hat, Gedankengänge
abzubilden:
There was no convenient way to link these cards together so that the train of thought could later be recalled by extracting the ordered series of notecards. An associative-trail scheme similar to that out lined by Bush for his Memex could conceivably be implemented with these cards to meet this need and add a valuable new symbol-structuring process to the system. [...]
Suppose that one wants to link Card B to Card A, to make a trail from A to B. He puts Card B into a slot so that the edge-notched coding of the card's serial number can automatically be sensed, and slips Card A under a hole-punching head which duplicates the serial-number code of Card B in the coding of the holes punched in a specific zone on Card A. Later, when he may have discovered Card A, and wishes to follow this particular associative trail to the next card, he aligns that zone on Card A under a hole-sensing head which reads the serial number for Card B therein and automatically sets up the sorting mechanism. A very quick and simple human process thus initiates the automatic extraction of the next item on the associative trail. It's not unreasonable to assume that establishing a link would take about three seconds, and tracing a link to the next card about three to five seconds.
What I Do:
I build paradigms.
I work on complex ideas and make up words for them.
It is the only way.
Den Begriff Hypertext
prägte ein Mann namens
Ted Nelson. Seine Historie beginnt im
Jahre 1960, als er begann, sich Gedanken
über Hypertext zu machen
[xana97]
[xana97]Xanadu FAQ
, Xanadu Australia, 1997, http://www.xanadu.com.au/xanadu/faq.html. Die erste Veröffentlichung erschien
im Jahre 1965, drei Jahre nachdem Douglas
Engelbart seine erste Schrift zu
Augment vorstellte. Nelsons System
XanaduSiehe http://www.xanadu.net/
hat eine bewegte, mehr als dreißigjährige Geschichte hinter
sich, von der Gary Wolfs
Artikel in Wired berichtet
Wir wollen
nicht verschweigen, dass dieser Artikel außerordentlich negativ
aufgenommen wurde. Nelson selbst nennt ihn
böswillig
(maliciously
) und Raggett et al. sprechen in
[ragg97]
[ragg97]HTML 3.2 - Neue Möglichkeiten für das Web-Publishing
- Neue Möglichkeiten für das Web-Publishing, Dave Raggett, Jenny Lam, Ian Alexander, Bonn, 1997, Addison-Wesley von offenen Beschimpfungen, mit denen
Wired [Nelson] bedacht hat
. Machen Sie sich selbst ein
Bild!
[wolf95]
[wolf95]Gary Wolf, The Curse of Xanadu
, Wired, 6, 1995, http://www.hotwired.com/wired/3.06/features/xanadu.html. Die
Ideen und Visionen, die bereits in den 60er Jahren im
Xanadu-Projekt formuliert wurden, gehen weit über das hinaus,
was bis heute im Web realisiert ist. Es ist überraschend, dass
Nelsons Visionen über Jahrzehnte so geringen Anklang gefunden
haben und nun in kürzester Zeit eine schlechte Kopie
Wirklichkeit wurde. Dass er selbst die Entwicklung mit
zwiespältigen Gefühlen
betrachtet, ist verständlich. So kann er in
[ragg97]
[ragg97]HTML 3.2 - Neue Möglichkeiten für das Web-Publishing
- Neue Möglichkeiten für das Web-Publishing, Dave Raggett, Jenny Lam, Ian Alexander, Bonn, 1997, Addison-Wesley zwar
noch eine besser als nichts
-Aussage abgeben,
Endlich gibt es ein populistisches, anarchisches elektronisches Publishing in Netzwerken.,
Das World Wide Web ist wie Karaoke: Jeder kann es, ohne es geübt zu haben, und das ist das Großartige daran.
aber auf einer seiner Webseiten
[nels96]
[nels96]Xanadu and OSMIC
, Theodor Nelson, 1996, http://www.sfc.keio.ac.jp/~ted/xanadu.and.osmic.html liest sich
das schon weniger positiv:
Many people think Xanadu was an attempt to build the World Wide Web. On the contrary: the World Wide Web was exactly what we were trying to prevent.
In
[conn97]
[conn97]XML: Principles, Tools and Techniques
, Dan Connolly, Sebastopol/CA, 1997, O'Reilly stellt er die SGML-Grundlage des Web,
Embedded Markup, in FrageMan beachte, dass es darum
geht, dass die Auszeichnungen in den Inhalt eingebettet (embedded)
sind. Es geht nicht um Generic Markup oder die Bevorzugung des
layoutorientierten Ansatzes; Nelson nennt neben
SGML ausdrücklich RTF, was ebenfalls
eingebettete Auszeichungen enthält, die jedoch die
Formatierung betreffen. Insofern richtet sich seine Kritik
gegen alle bekannten Textsysteme.. Der Titel seines Aufsatzes lautet
Embedded markup considered harmful
[nels97]
[nels97]Theodor Nelson, Embedded markup considered harmful
, in
[conn97]
[conn97]XML: Principles, Tools and Techniques
, Dan Connolly, Sebastopol/CA, 1997, O'Reilly.
Seine bisherigen revolutionären Ansätze und visionären
Gedanken verbieten, seine Kritik einfach zu
ignorieren. Vielmehr könnte es viel Zeit und Geld sparen, sich
vor Entwicklung einer neuen Technologie ein paar
Gedanken darüber zu machen. So sind aktuelle Probleme des Web, wie zum
Beispiel das Urheberrechtsproblem, von Nelson schon durchdacht
worden. Wie er schon vor 30 Jahren die Begriffe Hypertext und
Hypermedia prägte, so spricht er heute von
Transcopyright
und
Transpublishing
. Es bleibt
abzuwarten, wann wir seine Terminologie so selbstverständlich
benutzen, wie wir es mit Hypertext
heute machen.
Neben allem Lob für Nelsons Visionen muss man aber auch sehen, dass die Revolution des Web keine technische Revolution war. Aus technischer Sicht war es eher ein kleiner Schritt. Vielleicht kommt es auf die gute Kombination an: das Machbare machen und das Wünschenswerte nicht aus den Augen verlieren.
Aus neuerer Zeit ist noch eine ISO-Norm zu erwähnen. Im Jahre 1992 wurde HyTime, die Hypermedia/Time-based Structuring Language verabschiedet. Sie hatte auch große Bedeutung für die neuen Linking-Konzepte XLink und XPointer.
Eine stilgerechte Zusammenfassung der
Hypertext-Entwicklung bietet Stefan Münz in
[muen97]
[muen97]Hypertext v 1.2
, Stefan Münz, 1997, http://www.teamone.de/hypertext/. Selbstverständlich
beschränkt sich Münz nicht auf die historischen Meilensteine,
sondern sagt auch etwas über das Web. Das tun wir nun auch.